Rechte statt Verbote – GEGEN ein Prostitutionsverbot. FÜR den Schutz von Frauen, die Gewalt, Ausbeutung, Menschenhandel erfahren

An den Ministerpräsident Volker Bouffier,

An den Bürgermeister und Präsident des Senats Dr. Andreas Bovenschulte,

An die Ministerpräsidentin Malu Dreyer,

An den Ministerpräsident Daniel Günther,

An den Ministerpräsident Tobias Hans,

An den Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff,

An den Ministerpräsident Winfried Kretschmann,

An den Ministerpräsident Michael Kretschmer,

An den Regierender Bürgermeister Michael Müller,

An den Ministerpräsident Armin Laschet,

An den Ministerpräsident Bodo Ramelow,

An den Ministerpräsident Markus Söder,

An die Ministerpräsidentin Manuela Schwesig,

An den Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher,

An den Ministerpräsident Stephan Weil,

An den Ministerpräsident Dr. Dietmar Woidke,

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

seit Ausbruch der Corona-Pandemie herrscht in Deutschland ein Prostitutionsverbot. In einem Brief an Sie forderten nun 16 Bundestagsabgeordnete von CDU und SPD, den Corona-bedingten Shutdown im Prostitutionsgewerbe bis auf weiteres zu verlängern  – und instrumentalisieren damit ein krisenbedingtes Berufsverbot zu dem Zweck, eine erneute Debatte um ein „Sexkaufverbot“ in Deutschland zu entfachen.

Verbote treffen diejenigen Frauen* besonders hart, die bereits zuvor zu prekären Bedingungen arbeiteten: nicht gemeldete, möglicherweise undokumentierte Sexarbeiter*innen und solche, die sich die teure Zimmermiete ohne Lohn nun nicht mehr leisten können.

Ban Ying e.V. berät seit über dreißig Jahren als Fachberatungsstelle gegen Menschenhandel Frauen*, die Gewalt und Ausbeutung erfahren. Vor diesem Hintergrund fordern wir statt Verboten Zugang zu ihren Rechten und realen Schutz für Frauen*, die in Deutschland von Zwangsprostitution und Menschenhandel betroffen wurden.

Erfahrungswerte aus der Praxis einer Fachberatungsstelle

Die zwei Projekte von Ban Ying e.V.  – eine Koordinationsstelle gegen Menschenhandel und eine Zufluchtswohnung für betroffene Frauen und ihre Kinder –  bieten Betroffenen von Menschenhandel Beratung, Begleitung und Unterbringung in einer anonymen Schutzwohnung. Die Beratung von Frauen* aus bisher über 70 Ländern ist für die Klientinnen* kostenlos und vertraulich, auf Wunsch anonym. Sie erfolgt, wenn erforderlich, mit Sprachmittlung.

Frauen*, die bei Ban Ying Hilfe und Beratung suchen, berichten fast immer von außergewöhnlichen Schicksalen, die sie hinter sich haben. Sie sind geprägt von Ausbeutung, Gewalt und Diskriminierung. Ban Ying berät sie in sozialer und juristischer Hinsicht je nach Anliegen individuell.

Betroffene von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung

Zwei Beispiele: Eine junge Frau* wird von Verwandten aus ihrem Heimatland nach Deutschland geholt. Sie kommt in der Annahme, hier als Au-Pair tätig zu werden. Auch das von den Verwandten organisierte Visum trägt offiziell diesen Titel und Zweck. Hier angekommen wird sie in einem Massagesalon zur Prostitution gezwungen. Eine andere Frau* war in ihrem Herkunftsland in der Sexindustrie tätig. Ihr wird angeboten, nach Deutschland zu kommen, um unter besseren Bedingungen zu arbeiten. Bei ihrer Ankunft stellen sich die Versprechen als Lügen heraus. Sie wird zu langen Arbeitszeiten gezwungen, um ihren Lohn betrogen, ausgebeutet.

Beide Frauen* schaffen es, sich aus ihrer Zwangslage zu befreien, suchen Hilfe bei Ban Ying auf und stellen eine Anzeige gegen die Täterinnen und Täter. In beiden Fällen kommt es zu einem Verfahren wegen Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Die Unterschiedlichkeit der Fälle zeigt: Menschenhandel und extreme Ausbeutung passieren unabhängig davon, ob die Person ursprünglich eingewilligt hatte, in der Sexarbeit tätig zu sein oder nicht.

Ban Ying definiert sich nicht als Pro-Sexarbeit-Verein oder Interessensvertretung der Sexarbeit an sich. Vielmehr geht es uns darum, Frauen* dabei zu unterstützen, informierte Entscheidungen zu treffen. Eine Beratung auf Augenhöhe durchzuführen und nicht Teil eines unter dem Begriff „rescue industry“ erforschten Hilfesystems werden, welches versucht, Frauen* zu bekehren, die sich selber überhaupt nicht als Opfer verstehen. Eine Beratung, welche die Lebensentscheidungen der hilfesuchenden Frauen* (bezüglich Migration, Arbeit oder auch der Anklage der Täter*innen) als solche respektiert.

Zusammenhang Menschenhandel – Sexarbeit

Auch über diese direkten Erfahrungswerte hinaus wird mit einem Blick auf Forschung zum Zusammenhang von Freierbestrafung und Menschenhandel deutlich: Das Argument, ein Verbot von Prostitution würde auch zu einem Rückgang von Frauen- und Menschenhandel führen, findet keine eindeutigen Belege.

In Frankreich wurde 2016 das sogenannte nordische Modell eingeführt, also ein Gesetz, welches Freier bestraft, für Sexarbeiter*innen selber jedoch Straffreiheit vorsieht. Eine Befragung von über 500 Sexarbeiter*innen zeigte, dass sich das neue Gesetz sowohl auf die Arbeitsbedingungen als auch auf die gesundheitlichen und sicherheitsbezogenen Lebensumstände negativ auswirkte. Statt besseren Schutz für in der Prostitution Tätige bewirkte das Gesetz im Gegenteil: Mehr Stigma, mehr finanzielle Unsicherheit. Die Ausstiegsprogramme der Regierung bieten mit der rigiden Vorgabe, bereits nicht mehr in der Sexarbeit tätig zu sein, keine realistische, schrittweise Aufnahme einer anderen Beschäftigung und werden vermutlich u.a. aus diesem Grund in sehr kleinen Zahlen aufgesucht.

Fazit

Ein „Sexkauf-Verbot“, wie es die eingangs erwähnten Bundestagsabgeordneten fordern, würde auch in Deutschland dazu führen, diejenigen weiter in die Illegalität zu drängen, die ohnehin schon unter prekären Arbeitsbedingungen tätig sind und daher auch einer höheren Gefahr der Ausbeutung und des Zwangs ausgesetzt sind. 

Zielführender ist es, Sexarbeiter*innen selber als Alliierte im Kampf gegen Ausbeutung und Menschenhandel anzuerkennen und sie an der politischen Debatte zu beteiligen. Und denjenigen, die Opfer von Menschenhandel und Ausbeutung wurden, müssen Entschädigungen und realer Schutz geboten werden – unabhängig davon, ob sie als Zeug*innen in einem Strafverfahren aussagen oder eine gültige Aufenthaltserlaubnis in Deutschland besitzen. 

Der Forderung nach einem „Sexkaufverbot“ setzt Ban Ying e.V. folgende Forderungen entgegen:

  • Das Recht auf Sexarbeit,
  • die Einbindung von Sexarbeiter*innen in die politischen Vorstöße der Prostitutionsgesetzgebung,
  • die Rechte von Betroffenen von Menschenhandel nicht an die Kooperationsbereitschaft mit den Strafverfolgungsbehörden zu knüpfen,
  • weitere Finanzierung von Fachberatungsstellen gegen Menschenhandel,
  • die Einhaltung der EU-Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels, u.a. Weitervermittlung an eine kostenlose Beratung für undokumentierte Menschen, welche möglicherweise von Ausbeutung oder Menschenhandel betroffen sind – bevor eine aufenthaltsrechtliche Entscheidung getroffen wird.

 

Livia Valensise für Ban Ying e.V.

Die Ban Ying e.V. Zufluchtswohnung und Koordinations- und Beratungsstelle gegen Menschenhandel werden von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung finanziert.